App-basierte Therapie gegen Übergewicht

Eine der ersten zugelassenen DiGA

Zu den ersten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), die von den Krankenkassen in Deutschland erstattet werden, gehört eine von der aidhere GmbH entwickelte app-basierte Therapie. Das Start-up ist im Health Innovation Port in Hamburg angesiedelt – einem Start-up-Campus, der von Philips und weiteren Partnern wie den Asklepios Kliniken betrieben wird.

Zanadio ist als App für iOS und Android verfügbar und begleitet Menschen mit Adipositas in den Bereichen Bewegung, Ernährung und Verhaltensänderung. (Bild: ©aidhere GmbH)

Digitale Therapien sind startklar

In nur 15 Monaten hat Deutschland mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) ein komplett neues Erstattungssystem für digitale Therapien aufgebaut. Seit Oktober 2020 wurden die ersten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen. Unter den ersten DiGA war auch die Adipositas-App zanadio der Hamburger aidhere GmbH. “Wir haben genau darauf hingearbeitet und sind froh, dass wir so schnell durch den Prozess gekommen sind”, freut sich Mitgründerin Nora Mehl. Erst 2019 hat sie zusammen mit Tobias Lorenz und Henrik Emmert die Firma gegründet, eine erste Anschubfinanzierung kam damals von der Landes­investitionsbank Hamburg. Emmert war dabei der initiale Treiber: Nach neun Jahren als Berater bei der Boston Consulting Group wollte er eine Digital Health-Firma im Bereich Adipositas aufbauen. Über das Internet stieß er auf Nora Mehl, die schon seit einiger Zeit am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig über Verhaltensweisen bei Adipositas forschte. “Ich war aber zunehmend ernüchtert, weil alle meine Publikationen damit endeten, dass man die Ergebnisse nun in die Praxis übertragen müsste”, erinnert sich Mehl.

Porträtbild von Frau Dr. Nora Mehl, Co-Founder & Managing Director, aidhere GmbH

Dr. Nora Mehl, Co-Founder & Managing Director, aidhere GmbH (Bild: © aidhere GmbH)

E-Learning-Module kombiniert mit Bewegungs- und Ernährungstracking

Gemeinsam mit Emmert und Lorenz wagte sie den Sprung in die Selbstständigkeit. Zusammen haben sie eine App-basierte Adipositas-Therapie entwickelt, die die Betroffenen online bei individuellen Verhaltens­änderungen unterstützt – auf Basis von aktuellen Leitlinien und maßgeschneidert für den einzelnen Nutzer. “Bisher gibt es für die Therapie bei starkem Übergewicht nur wenige wirklich effektive Programme, die zudem mit hohen Kosten für die Betroffenen verbunden sind ”, so Mehl. Die zanadio-App kombiniert E-Learning-Module mit Bewegungs- und Ernährungstracking. Basierend auf den Angaben der Nutzer bietet die App jeweils ein individuelles, maßgeschneidertes Programm. Die fachliche Grundlage für die App-basierte Behandlung liefern angestellte Experten aus den Bereichen Diätassistenz, Psychologie oder Sportwissenschaft.

“Das Programm bietet nur das an, was auch erreicht werden kann und bleibt damit nah am Patienten.”

Dr. Nora Mehl

Ziel ist es, die Kalorienzufuhr zu verringern und den Kalorienbedarf zu steigern. “Das Programm bietet nur das an, was auch erreicht werden kann und bleibt damit nah am Patienten”, betont Psychologin Mehl. Sie weiß, dass es darauf ankommt, realistische Ziele zu stecken. Seit Anfang November 2020 kann die App als DiGA in Deutschland verschrieben und erstattet werden. Erste Umsätze wurden bereits im November 2020 gemacht, aber die Zulassung gilt zunächst für ein Jahr auf Probe. Parallel läuft eine klinische Studie mit der Universität Leipzig, die überprüft, wie sich Lebensqualität, Wohlbefinden und Gewicht für Nutzer der App verändern. “Auf Basis dieser Daten können wir nach einem Jahr eine dauerhafte Zulassung erhalten und in die finalen Verhandlungen mit den Krankenkassen gehen”, so Mehl. Parallel dazu geht es nun darum, die App bekannter zu machen sowie über Kooperationen mit Reha-Kliniken, Spezialisten und Krankenkassen weitere Standbeine im Markt zu etablieren.

Digital Health in Deutschland zunehmend attraktiv

Unterstützt auf ihrem Weg wurde das Team unter anderem vom Health Innovation Port, wo die junge Firma ihren Sitz hat. Der vom Philips-Konzern gemeinsam mit Partnern wie der Stadt Hamburg und der Techniker Krankenkasse ins Leben gerufene Campus in Hamburg bietet Start-ups die Möglichkeit, eng mit Experten aus dem Gesundheitswesen zusammenzuarbeiten. Heute sind auch weitere Partner wie die Asklepios Kliniken dabei. “Wir arbeiten mit einer wachsenden Anzahl nationaler und internationaler Startups zusammen, um sie beim Marktzugang in Deutschland zu unterstützen“, sagt Lukas Hoffmann, der sich bei Philips um die Zusammenarbeit mit Start-ups am HIP kümmert. Seit die Option der DiGA als Weg in die Regelerstattung offensteht, gibt es am HIP ein gezieltes Beratungsprogramm. “Wir wollen dabei helfen, dass die Firmen fundierte Entscheidungen darüber treffen, ob und wie das der richtige Weg für sie sein könnte”, sagt Hoffmann. Aus seiner Perspektive ist die Attraktivität von Deutschland als Markt für digitale Gesundheitslösungen mit dem DVG enorm gestiegen. “Wir bekommen immer mehr Anfragen aus dem Ausland von Start-ups, die hier ihre Produkte anbieten wollen”, so Hoffmann.

Gleichzeitig bietet das Krankenhauszukunftsgesetz, das 2021 in Deutschland in Kraft treten soll, einen weiteren wichtigen Baustein für neue digitale Lösungen. Das sieht auch Henning Schneider so, Chief Information Officer an den Asklepios Kliniken. “Dieses Gesetz erlaubt uns erstmals, Kosten für Digitalstrukturen vom Bund abzurufen und gezielt zu investieren. Wir fokussieren dabei auf krankenhausübergeifende Lösungen, die unabhängig vom einzelnen Standort umgesetzt werden können.” Schneider ist dabei ein klarer Verfechter von Plattform-Ansätzen, über die verschiedene Anbieter vernetzt werden. “Wir brauchen gute Schnittstellen und müssen dringend Insellösungen vermeiden.”

HIP bietet Zugang zu globalen Innovationen

Die Struktur des HIP hilft Asklepios, die Zusammenarbeit mit E-Health-Start-ups zu kanalisieren und zu strukturieren. “Wir werden überrannt von Start-ups, die ihre Lösungen an uns herantragen. Jeder ist an den Daten in den Kliniken interessiert. Über den HIP können wir gezielt Partnerschaften eingehen und Pilotprojekte aufsetzen”, sagt Schneider und betont: “Uns geht es um die Patienten und Ärzte, für die eine digitale Lösung auch eine Verbesserung darstellen soll.” Einen großen Bedarf sieht er bei Anwendungen, die den Klinik-Aufnahmeprozess von Patienten erleichtern, die Medikamentenausgabe sicherer machen oder den Einsatz von mobilen Geräten in der Klinik unterstützen, etwa bei der Wundversorgung. Über den HIP kann Asklepios auch global nach Innovationen suchen. “Wir müssen nicht auf das eine Start-up mit der für uns passenden Lösung warten, sondern können selbst aktiv werden”, sagt Schneider.
Autorin: Sandra Wirsching

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