Vom Material zum Medikament

Antiviraler Wirkstoff gegen Herpes im Innovations-Transfer-Wettbewerb erfolgreich

Erst kribbelt es auf der Haut, dann bilden sich schmerzhafte Bläschen: Einmal mit Herpesviren infiziert, bleibt der Erreger ein Leben lang im Körper und kann immer wieder zu Infektionen führen. Medikamente wie Zinksalben lindern zwar die Symptome, beseitigen das Virus aber nicht dauerhaft. Professor Rainer Adelung von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) forscht seit über zehn Jahren an speziellen Zinkoxidpartikeln und ihren Anwendungsmöglichkeiten. In einer Kooperation mit der Phi-Stone-AG, einer Ausgründung der CAU, entwickelte er aus den Partikeln einen antiviralen Wirkstoff, der Herpesviren vollständig immobilisiert.

Dr. Christian Zöllner (außen links), Geschäftsführer der Prof. Dr. Werner-Petersen-Stiftung, und Dr. Klaus-Jürgen Wichmann, Vorsitzender der Stiftung (außen rechts), gratulierten CAU-Professor Rainer Adelung und PhiStone-Vorstandsvorsitzendem Andreas Roth
Große Freude im Sommer 2023: Zusammen mit CAU-Professor Rainer Adelung (2.v.l) nahm Phi-Stone-Vorstandsvorsitzender Andreas Roth (3.v.l.) die Gratulation zum zweiten Platz des Innovations-Transfer-Preises aus den Händen von Dr. Christian Zöllner (außen links), Geschäftsführer der Prof. Dr. Werner-Petersen-Stiftung, und Dr. Klaus-Jürgen Wichmann, Vorsitzender der Stiftung (außen rechts), entgegen. (Foto: Thomas Eisenkrätzer, Geomar)

In einer Kooperation mit der Phi-Stone-AG, einer Ausgründung der CAU, entwickelte er aus den Partikeln einen antiviralen Wirkstoff, der Herpesviren vollständig immobilisiert. Dafür hat die Prof. Dr. Werner-Petersen-Stiftung den Materialwissenschaftler und den Wirkstoffhersteller aus Mielkendorf jetzt mit dem zweiten Platz im Wettbewerb um den Innovations-Transfer-Preis ausgezeichnet. Die Stiftung ehrt damit zukunftsweisende Produkte, die Wissenschaft und Wirtschaft in Schleswig-Holstein gemeinsam entwickelt haben.

Viren unter dem Radar

Mit weniger als 200 Nanometern sind Herpesviren zu klein, um von den „Fresszellen“ des Immunsystems schnell erfasst zu werden – sie verschwinden gewissermaßen unter dem Radar. Normalerweise kann das Immunsystem sie erst bekämpfen, wenn sie sich im Körper ausgebreitet und bereits Bläschen gebildet haben.

„In unserem Ansatz geben wir der Körperabwehr sozusagen eine ‚Brille‘, damit sie die Herpesviren frühzeitig erkennt und ausschaltet“, fasst Rainer Adelung, Professor für Funktionale Nanomaterialien, die Rolle ihres „tetrapodalen Zinkoxids“ zusammen. Auf den ersten Blick sieht das weiße, weiche Material aus wie Watte. Erst unter einem hochauflösenden Elektronenmikroskop wird seine besondere Struktur sichtbar: Ein dicht verzweigtes Netzwerk aus vierarmigen Partikeln, sogenannte Tetrapoden. Ihre Form verleiht dem Material ungewöhnliche Eigenschaften. Sie können Herpesviren an sich binden und so für das Immunsystem „sichtbar“ machen.

Kieler Tetrapoden immitieren gesunde Zellen

Dazu lösten die Forschenden einzelne Sauerstoffmoleküle aus der Oberfläche der Tetrapoden heraus. „Diese Löcher imitieren die Stellen von gesunden Zellen, an denen Herpesviren normalerweise ansetzen, um sie zu  infizieren. Ihre Glukoproteingruppen docken hier an und sitzen fest“, So kann die Immunabwehr die Viren finden und eine antivirale Immunantwort auslösen“, erklärt Adelung.

Adelung und sein Team haben dieses Prinzip in einer Reihe von Experimenten mit unterschiedlichen Herpesviren nachgewiesen und mehrere Studien in internationalen Fachzeitschriften dazu veröffentlicht. Kolleginnen und Kollegen aus der Mikrobiologie und der Immunologie der University of Illinois, Chicago, stellten außerdem eine schnelle Abheilung von Herpes-Entzündungen am Mausmodell fest. Nach der Behandlung mit tetrapodalem Zinkoxid waren die Tiere ausnahmslos immunisiert.

Gemeinsam zur Marktreife entwickelt

Bereits bei der Herstellung des tetrapodalen Zinkoxids arbeiteten die Kieler Materialforschenden eng mit der Uni-Ausgründung zusammen. Die Phi-Stone AG entwickelte das Verfahren weiter und konnte die Produktion in einem eigens dafür eingerichteten Reinraumlabor hochskalieren. Das schuf die Voraussetzungen für die Marktreife, die offizielle Zulassung als medizinischer Zusatzstoff und schließlich als Medizinprodukt. „Ohne den engen Austausch und die seit über zehn Jahren bestehende Kooperation wäre so eine schnelle Translation von der ersten Erforschung einer neuen Wirksubstanz bis zu einem Medikament nicht möglich gewesen“, blickt Adelung zurück.

Mit seinen ungewöhnlichen Eigenschaften lässt sich tetrapodales Zinkoxid auch für andere, technische Anwendungen nutzen, etwa als Zusatzstoff zur Verstärkung von Kunststoffen oder als innovatives Filtermaterial. Eine weitere Produktionsstätte in Flintbek ist bereits im Aufbau.

Der Verleihung der Innovations-Transfer-Preise fand am 10. Juli 2023 im GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel statt. Das Preisgeld von 15.000 Euro für den zweiten Platz wurde unter zwei medizinischen Entwicklungen aufgeteilt, 7.500 Euro erhielt die Kooperation von Rainer Adelung und der Phi-Stone AG.

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