Interview mit Prof. Marylyn Addo und Dr. Saskia Borregaard zur Corona-Impfstoffstudie am UKE
Es ist der nächste Meilenstein für das öffentlich geförderte COVID-19-Impfstoff-Konsortium des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) und IDT Biologika: Am klinischen Studienzentrum von Dienstleister CTC North am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) wird der Corona-Impfstoff-Kandidat erstmals in einer klinischen Studie der Phase I erprobt.
Für Prof. Marylyn Addo, Leiterin der Sektion Infektiologie am UKE sowie Dr. Saskia Borregaard, Mitglied der Geschäftsleitung im CTC North, ist es nach MERS und Ebola bereits das dritte gemeinsame Impfstoffprojekt.
Das Team im Doppelinterview:
LSN: Sie stehen in den Startlöchern für die Phase-I-Studie des viralen Vektorimpfstoffs MVA-SARS-2-S. Wann kann es losgehen?
Marylyn Addo: Wir haben seit März auf die Phase-I-Studie hingearbeitet. Unsere Teams sind bereit und hochmotiviert. Nun hat das Paul-Ehrlich-Institut die klinische Prüfung genehmigt und die Ethikkommission der Ärztekammer Hamburg hat ihre Zustimmung gegeben. Deshalb können wir Anfang Oktober mit den Impfungen beginnen.
Saskia Borregaard: Dieser Sprint war nur möglich, weil alle im engen Austausch und mit hohem Engagement zusammengearbeitet haben. Die Projektpartner haben parallel gearbeitet, ebenso haben die Behörden die Begutachtungen mit Priorität vorgenommen. Und natürlich war auch entscheidend, dass schnell immense Fördermittel von DZIF und nachfolgend vom Bundesforschungsministerium zur Verfügung gestellt wurden.
LSN: Wie sehen die nächsten Schritte aus?
Borregaard: Bei uns haben sich per E-Mail bereits mehr als 2.500 Studien-Interessierte gemeldet. Unser Recruitment-Team am CTC North Studienzentrum wird sie nach Studienstart telefonisch befragen und bei entsprechender Eignung für eine Voruntersuchung einladen. Wir können das sehr schnell umsetzen. Für die Phase-I-Studie werden wir den Impfstoff an insgesamt 30 Studienteilnehmenden im Alter von 18 bis 55 Jahren testen.
Addo: Wir werden 15 Probanden mit einer geringeren und 15 Probanden mit einer höheren Dosis des MVA-Vektorimpfstoffs in den Oberarm-Muskel impfen. Die Probanden werden sorgfältig beobachtet, regelmäßig untersucht und führen ein Impftagebuch. Nach vier Wochen wird jedem Probanden eine zweite Impfung verabreicht. Die Phase-I-Studie soll klären, wie sicher und verträglich die Vakzine ist und ob sie eine Immunantwort hervorruft.
LSN: Wieso haben Sie auf einen MVA-Vektorimpfstoff als Plattform gesetzt?
Addo: MVA ist ein abgeschwächtes Pockenvirus, das dem Menschen nichts anhaben kann. Wir verwenden es als Genfähre, um dem Körper ein Stück der genetischen Information von SARS-CoV-2 zu zeigen. MVA-Vektorimpfstoffe sind sehr gut verträglich und es liegen aus den vergangenen Jahrzehnten viele Sicherheitsdaten vor. Es gab bisher nie schwerwiegende Nebenwirkungen, also Serious Adverse Events (SAEs).
Borregaard: Für MERS, einem 2012 aufgetretenen Coronavirus, haben unsere beiden Teams zudem schon Erfahrungen mit einem MVA-Vektorimpfstoff in einer Phase-I-Studie gesammelt, die hier am CTC North unter der Leitung von Frau Prof. Addo durchgeführt wurde. Wir konnten also auf den Erkenntnissen aufbauen.
LSN: Welche Erwartungen haben Sie an die Schutzwirkung Ihres und anderer Corona-Impfstoff-Kandidaten?
Addo: Ich bin optimistisch. Garantien gibt es keine. Aber wir sehen ja, dass Menschen eine COVID-19-Erkrankung überwinden können und zumindest temporär eine natürliche Immunität ausbilden. Diese versuchen wir für COVID nachzuahmen oder zu verbessern. Auch Daten zur Immunantwort im Tiermodell sind sehr vielversprechend. Im Oktober, spätestens im November erwarte ich aus den Phase-III-Studien anderer Impfstoff-Konsortien ein Signal über die Schutzwirkung.
LSN: Wie geht es mit dem MVA-Impfstoff gegen SARS-CoV-2 weiter?
Borregaard: Wir gehen davon aus, dass die nächsten Studienphasen kurzfristig beginnen könnten. Eine Phase-II-Studie mit bis zu 600 Probanden an mehreren Studienzentren folgen, die auch ältere Probanden einschließen soll, ist bereits in der Planung.
LSN: Wie gehen Sie mit dem öffentlichen Erwartungsdruck um?
Addo: Der öffentliche Druck ist groß. Doch wir versuchen, das auszublenden und konzentrieren uns auf unseren Job. Dabei hilft uns, dass unsere Teams sehr gut eingespielt sind. Nach MERS und Ebola ist das ja bereits unser drittes DZIF-Impfstoff-Entwicklungsprojekt für eine weltweite Notfallindikation. Die Drucksituation habe ich persönlich bei Ebola als schlimmer empfunden. Ich schwöre mein Team allerdings auf einen langen Winter ein. Jeder muss darauf achten, mit seinen Ressourcen gut umzugehen.
LSN: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dr. Philipp Graf
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