Biopharmazeutika made in Schleswig-Holstein: Im Interview erläutert der CEO von Richter BioLogics, Kai Pohlmeyer, warum der Auftragshersteller 100 Millionen Euro in den Ausbau seines Werks in Bovenau investiert hat und was das für das Cluster Life Science Nord bedeutet.
Biopharmazeutika aus Bovenau
Zwischen Rendsburg und Kiel liegt Bovenau. Mitte September dieses Jahres sorgte der kleine Ort unweit des Nord-Ostsee-Kanals für Schlagzeilen in der europäischen Biotechnologie-Branche: nach dreieinhalb Jahren Bauzeit hat das Unternehmen Richter BioLogics vor mehr als 60 geladenen Gästen eine neue Produktionsstätte eingeweiht: Mit dem Erweiterungsbau P2 verdreifacht der Auftragshersteller seine Produktionskapazität für Biopharmazeutika.
Mit rund 100 Mio. Euro ist die neue Produktionsanlage laut Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther die größte Investition eines ausländischen Unternehmens in Deutschlands nördlichstem Bundesland – und sie schafft mehr als 60 neue Arbeitsplätze.
Per mikrobieller Produktion können in der hochmodernen Anlage künftig proteinbasierte Wirkstoffe sowie Produkte auf der Basis von sogenannter Plasmid-DNA hergestellt werden – die Palette reicht von Antikörpern über Impfstoffe bis hin zu Nanobodies.
Zudem gab das Unternehmen mit ungarischer Mutter, das seinen Hauptsitz in Hamburg hat, seine Umfirmierung in Richter BioLogics bekannt. Life Science Nord Magazin hat mit CEO Kai Pohlmeyer über den neuen Standort und dessen Rolle im Cluster Life Science Nord gesprochen.
Interview mit Dr. Kai Pohlmeyer
Richter BioLogics hat zusammen mit seiner Muttergesellschaft Gedeon-Richter 100 Millionen Euro in die Erweiterung am Standort Bovenau investiert. Wie kam es zu dieser Entscheidung mitten in der Corona-Pandemie?
Pohlmeyer: Mit der Eröffnung haben wir unsere Produktionskapazität für rekombinante Proteine, Antikörperfragmente, Plasmid-DNA und Impfstoffe verdreifacht und unsere Belegschaft am Standort Bovenau verdoppelt. Der Grund dafür war eine sehr starke Nachfrage unserer bestehenden Kunden bei voller Auslastung unserer früheren Einzelproduktionslinie in Bovenau. 2019 hatten wir drei Kunden mit Produkten in der klinischen Phase III, die auf uns zukamen und fragten, ob wir im Falle einer Zulassung in kommerziellem Maßstab produzieren könnten. Ein großes Pharmaunternehmen hat uns quasi die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt, dass das Risiko, mit nur einer Produktionslinie kommerziell zu arbeiten, für uns zu hoch ist. Wir brauchten mehr Backup-Kapazität. Wenn wir also wachsen wollten, mussten wir etwas tun. Eines der Produkte hat die Marktzulassung erhalten und wird ab dem nächsten Jahr die Kapazität unserer neuen, großen 1.500-Liter-Produktionslinie voll auslasten. Die Kapazitätserweiterung in Bovenau war also kein Pokerspiel, sondern basierte auf einem soliden Business Case.
Welche Faktoren waren außerdem wichtig?
Zugute kam uns auch unser ausgewogener Projektmix, der es uns erlaubt, mit innovativen Biotech-Produkten unsere Produktionspipeline zu füllen. Gleichzeitig bilden unsere langjährigen Kunden aus der Pharmaindustrie ein verlässliches Fundament. Wir spüren zwar im Biotech-Bereich einen Rückgang bei der Anzahl neuer Projektanfragen, können dies aber bei bestehenden Kunden mehr als ausgleichen. Wir werden in diesem Jahr zum zwölften Mal in Folge den Umsatz steigern.
Aufgrund der guten Auslastung der neuen Produktionsanlage ist bereits eine dritte Produktionslinie im Gespräch, wie Sie bei der offiziellen Eröffnung von P2 sagten. Was ist geplant?
Mit der neuen großen 1.500-Liter- und der kleineren 300-Liter-Produktionslinie steigern wir die Produktionskapazität am Standort Bovenau von 40 auf 120 Chargen pro Jahr. Zusätzliche Kapazitäten stehen an unserem Standort in Hannover zur Verfügung. Unser Ziel für die nächsten zwei Jahre ist es, die neuen Produktionslinien voll auszulasten. Wir planen derzeit eine weitere 3.000-Liter-Linie, da wir mehrere Kunden mit Antikörperprodukten in Phase II und III haben, die eine kommerzielle Produktion an unserem Standort in Betracht ziehen, für die in der Regel eine höhere Anzahl Dosen erforderlich sind.
Im Zuge der Produktionserweiterung in Bovenau wurden mehr als 60 Fachkräfte eingestellt. Wie ist das möglich, mitten in einer globalen Fachkräftemangelkrise in ihrem Sektor?
Wir haben frühzeitig mit der Suche begonnen – bereits im vergangenen Jahr –, was sich nicht unbedingt positiv auf die Gewinn- und Verlustrechnung ausgewirkt hat. Uns war auch bewusst, dass das ländliche Bovenau nicht der Nabel der Welt ist und nicht automatisch Fachkräfte anzieht. Heute stehen wir besser da, als ich erwartet hätte. Die Tatsache, dass die deutsche Biotech-Branche derzeit schwächelt und erfahrene Ingenieure und Wissenschaftler entlassen wurden, hat uns bei der Personalsuche geholfen – sogar in Süddeutschland, wo wir zuvor keine Chance hatten.
Welche Bedeutung hat es für Sie, Teil des Clusters Life Science Nord zu sein? Und welches Potenzial sehen Sie im Norden als Standort für die Pharmaproduktion?
Wir sind mit unserem Hauptsitz in Hamburg und der nun ausgebauten Produktionsstätte in Bovenau eng verzahnt in der Region Nord in den Bereichen Biotech- und Pharmawirtschaft. Wir pflegen hier enge Kooperationen und einen regen Austausch mit Universitäten, wissenschaftlichen und schulischen Institutionen. Auch dadurch können wir gut ausgebildete Fachkräfte und junge Talente gewinnen. Die Region Nord eröffnet uns weiteres Wachstum. Wir haben nicht nur den benötigten Platz für den fortgehenden Ausbau unserer Kapazitäten, wir sind auch sehr gut in der Region vernetzt und haben den benötigten Rückhalt von Seiten der Politik.
Die bereits erfolgte und noch geplante Expansion ist beträchtlich. Wie sehen die langfristigen Pläne von Richter BioLogics aus?
Langfristig wollen wir auf dem US-Markt, auf dem wir bereits den Großteil unseres Umsatzes erwirtschaften, besser Fuß fassen. Wachstum durch Fusionen und Übernahmen kann ich mir heute nicht vorstellen, außer in der Breite, also bei der Stammentwicklung und den der Produktion vorgelagerten Prozessen. Stattdessen werden wir uns weiterhin auf organisches Wachstum konzentrieren. Die Strategie 2024plus sah eine Niederlassung für Marketing & Sales in den USA vor. Angesichts der Tatsache, dass die Kapazität unserer Produktionserweiterung in Bovenau bereits zu mehr als 50 % ausgelastet ist, haben wir diese Pläne um zwei bis drei Jahre verschoben.
Auf welche Produkte sind Sie am Standort Bovenau spezialisiert?
Was den Produktmix betrifft, werden wir uns weiterhin auf Plasmid-DNA (pDNA) und Antikörperfragmente konzentrieren. Obwohl wir den derzeit schnell wachsenden Markt für Antikörperkonjugate interessant finden, werden wir uns nicht damit befassen, da die parallele Produktion solch toxischer Produkte weder von unseren Kunden akzeptiert würde noch intern realisierbar ist. Wir sehen jedoch große Wachstumschancen im Bereich der Nanobodies und Antikörperfragmente.
Richter BioLogics: Was hinter dem neuen Namen steckt
Richter-Helm BioLogics heißt nun Richter BioLogics: Der neue Firmenname spiegelt den Eigentümerwechsel des Unternehmens wider, das vom derzeitigen Gedeon-Richter-Vorstandsvorsitzenden Erik Bogsch und Dieter Schnabel, dem Vorstandsvorsitzenden der Helm AG, durch die Übernahme der Strathmann Biotec GmbH gegründet wurde. Bereits im März hatte die ungarische Muttergesellschaft Gedeon Richter bekannt gegeben, dass sie die Anteile der Helm AG übernimmt und ihren Anteil an Richter-Helm BioLogics von 70 % auf 100 % und ihren Anteil an Richter-Helm BioTec ebenfalls auf 100 % erhöht. Mit der Namensänderung wird der im Herbst 2023 vereinbarte Prozess abgeschlossen, in dem Gedeon-Richter sein vertraglich vereinbartes Vorkaufsrecht ausgeübt hat und anschließend der Unternehmenswert ermittelt wurde. Helm wird sich künftig auf sein Chemiegeschäft konzentrieren.
Interview: Thomas Gabrielczyk, Philipp Graf
Beitragsbild: © Richter BioLogics