Genomchirurgische HIV-Therapie auf dem Weg in die Klinik

Genomchirurgische HIV-Therapie auf dem Weg in die Klinik

Die innovative HIV-Therapie von Provirex nutzt eine Genschere, um Virus-Erbgut aus infizierten Zellen zu beseitigen. Für eine klinische Studie baut das Start-up ein Therapiezentrum in der zukünftigen Science City Hamburg Bahrenfeld auf.

Virus-Erbgut aus Körperzellen herausschneiden

Trotz enormer Fortschritte in der HIV-Therapie ist die Krankheit noch immer nicht vollständig heilbar. Zwar kann die Virusvermehrung im Körper heute durch Medikamente in Schach gehalten werden, aber die virale DNA – das Provirus – bleibt in den Körperzellen vorhanden und baut sich dort in das Genom ein.

Mit der Translation eines leistungsfähigen Genom-Editierungs-Ansatzes in die klinische Anwendung will das Hamburger Start-up Provirex Genome Editing Therapies die Behandlung von HIV revolutionieren und die Krankheit womöglich sogar heilen. Die Ausgründung des Leibniz-Instituts für Virologie (LIV) bereitet sich jetzt in den Start-up Labs Bahrenfeld bei DESY auf eine öffentlich geförderte klinische Studie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) vor. Dank der Unterstützung zweier Investoren seit dem Jahr 2022 baut das Team Räumlichkeiten in der entstehenden Science City Hamburg Bahrenfeld auf, um ein Therapiezentrum zu etablieren.

Langjährige Forschungserfahrung mit Rekombinase-Technologie

Der Star des Genom-Editierungs-Ansatzes von Provirex ist eine Designer-Rekombinase namens Brec1. Das Enzym ist ein programmierbares biomolekulares Skalpell: Es findet seine Zielstelle im Genom und schneidet mit unvergleichlicher Präzision DNA-Stücke heraus. „Unsere Rekombinase funktioniert völlig anders als Nukleasen wie CRISPR-Cas9, denn sie führt den gesamten genomchirurgischen Prozess durch, ohne dass Fehler oder unerwünschte Mutationen zurückbleiben“, sagt Jan Chemnitz, einer der Gründer und Geschäftsführer von Provirex.

Er gehörte zu dem Forschungsteam, das die Technologie entwickelte, die auf einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen dem inzwischen pensionierten Professor Joachim Hauber und seinem Team am LIV und Professor Frank Buchholz an der Technischen Universität Dresden beruht. Das umfangreiche Technologie- und Patentportfolio des Unternehmens wurde über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren in den beteiligten Forschungsinstituten aufgebaut und mit Unterstützung von Ascenion als Technologietransferpartner exklusiv an das Unternehmen lizenziert.

„Unserer Zeit zehn Jahre voraus“

Die Rekombinase-Technologie zur Klinikreife gebracht zu haben, passt perfekt zu einem Biopharma-Sektor, in dem Gen- und Zelltherapien einen Boom erleben. Doch der Weg dorthin erwies sich für die Innovatoren in Hamburg als schwierig. Anfänglich zeigten sich Teile der wissenschaftlichen Gemeinschaft skeptisch hinsichtlich der Machbarkeit des Ansatzes, und das Interesse der Investoren an der klinischen Umsetzung der Brec1-Technologie war gering. „Wir waren unserer Zeit zehn Jahre voraus“, sagt Oliver Ahnfeld, Mitgründer und Geschäftsführer von Provirex.

Öffentliche Mittel und die beständige institutionelle Unterstützung von LIV haben es den Forschenden ermöglicht, die Sicherheit und Effizienz ihrer Technologie im Tierversuch nachzuweisen und somit die Grundlagen für klinische Versuche zu schaffen.

Ein wichtiger Meilenstein war eine Veröffentlichung in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Biotechnology“ im Jahr 2016. Darin wies das Team nach, dass Brec1 in der Lage ist, das Provirus der meisten HIV-1 Isolate gezielt aus den infizierten Zellen zu entfernen. „Das bedeutet, dass 94 Prozent der HIV-Patienten mit unserem Ansatz behandelt werden können“, sagt Chemnitz.

In der Darstellung wird gezeigt, wie das HIV-Provirus durch die Rekombinase Brec1 aus dem Genom einer T-Zelle geschnitten wird. © Illustration SCIsytel for LIV
Die Abbildung zeigt, wie die Rekombinase Brec1 das HIV-Provirus aus dem Genom einer T-Zelle schneidet. © Illustration SCIsytel for LIV

Klinische Studie mit genveränderten Blutstammzellen

Mit diesen vielversprechenden Ergebnissen in der Hand begann das LIV-Team mit dem Fundraising und beantragte zusammen mit dem UKE beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erfolgreich eine Millionen-Förderung für eine klinische Studie namens HIVCure.

Eine weitere Million Euro investiert der Hamburger Senat in die Entwicklung von Instrumenten, die für die Studie benötigt werden. HIVCure, eine First-in-Human-Phase-Ib/IIa-Studie, soll Ende 2024 am UKE starten. Sie zielt darauf ab, mithilfe von Gen-Editing der peripheren Blutstammzellen HIV-1 bei infizierten Personen zu entfernen. „Die retransplantierten, genom-editierten Blutstammzellen bauen ein Immunsystem auf, das nun resistent gegen HIV ist“, beschreibt Chemnitz. Provirex forsche auch an der direkten Verabreichung von Brec1 durch molekulare Fähren, sagt er.

Mit Finanzierung zum Therapiezentrum

Provirex wurde 2019 dank einer Seed-Finanzierung durch die Stadt Hamburg gegründet. Einen weiteren großen Schub erhielt das Start-up im Jahr 2022, als

  • der Risikokapitalgeber Bioventure Management
  • und IFB Innovationsstarter

in das Unternehmen investierten. „Diese Investition wird das Unternehmen in den nächsten vier Jahren finanziell absichern und dazu beitragen, ein Therapiezentrum in der zukünftigen Science City Hamburg Bahrenfeld aufzubauen“, sagt Ahnfeld.

Im Jahr 2024 soll das neue Labor mit einer Fläche von rund 500 Quadratmetern fertiggestellt sein. In speziell konzipierten Reinräumen werden dann Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP) hergestellt, die den Sicherheitsstandards für die Arbeit mit menschlichen Viren entsprechen. „Auf lange Sicht werden wir in der Lage sein, personalisierte Medizin für Menschen mit HIV (PLWH) anzubieten – als eines der ersten Unternehmen weltweit“, sagt Ahnfeld.

Text: Philipp Graf/Doreen Penso Dolfin

Beitragsbild: Das Provirex-Team (von links): Die Mitgründer Oliver Ahnfeld, Niklas Beschorner, Maike Voges und Jan Chemnitz © Catrin-Anja Eichinger

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