KI und Kristalle: „Wir liefern den Raumplan für das Drug Design“

KI und Kristalle: „Wir liefern den Raumplan für das Drug Design“

Das Start-up CrystalsFirst ist auf strukturbiologische Analysen von Proteinkristallen für die Wirkstoffentwicklung spezialisiert. Seit 2022 ist das Team am DESY in Hamburg-Bahrenfeld angesiedelt. Im Interview spricht Gründer und CEO Serghei Glinca über die Technologie und das Strukturbiologie-Ökosystem im Norden.

Die 3D-Strukturanalyse von Proteinen wird durch KI-Lösungen wie AlphaFold2 revolutioniert. Bei CrystalsFirst setzen Sie auf die aufwendige Herstellung von Proteinkristallen und die Röntgen-Kristallographie – wieso?

Die Entwicklung von AlphaFold2 ist eine tolle Geschichte und das hat die Strukturbiologie wirklich transformiert. Was die KI aber nicht vorhersagen kann, ist, wie chemische Molekülfragmente auf der Oberfläche eines Proteins binden und mit ihm wechselwirken. Hierfür bleibt die experimentelle Strukturbiologie und die Kristallographie essenziell für die präklinische Entwicklung von Medikamenten. Auch für weitere Pharmatrends in der Wirkstoffentwicklung wie „molekulare Kleber“ und „PROTACs“ sind komplexe Strukturdaten unverzichtbar. Es ist vergleichbar mit der Inneneinrichtung eines Hauses: Man braucht einen räumlichen Entwurf, ein 3D-Modell, um zu wissen, wo und wie ich Sofas und Schränke anordnen kann.

Was ist das Besondere an Ihrer Technologie und wer sind Ihre Kunden?

ChrystalsFirst unterstützt insbesondere Biotech-Unternehmen in der sogenannten fragmentbasierten Wirkstoffentwicklung. Wir erzeugen im Labor stabile Kristalle aus dem Protein-Zielmolekül und den gebundenen Molekülfragmenten und analysieren diese Komplexe mittels Röntgen-Kristallographie. So liefern wir unseren Kunden eine 3D-Struktur für das weitere Drug Design. Unsere Kunden stammen aus den USA, Südkorea, Japan und natürlich auch aus Europa.

Kleine Moleküle, sog. Fragmente, binden an das Protein, die durch mittels der SmartSoak-Technologie gefunden werden. Die Daten werden für die Entwicklung von neuartigen Wirkstoffen mittels generativer KI bei CrystalsFirst genutzt. © CrystalsFirst

Wieso sind Sie mit Ihren Laboren auf den DESY-Campus gewechselt?

Die Keimzelle von CrystalsFirst ist Marburg, auch in der Life Science Factory Göttingen haben wir einen operativen Standort. Aber das Hamburger Strukturbiologie-Ökosystem mit EMBL, DESY und CSSB ist einfach außergewöhnlich. Als ich mir das angeschaut habe, hatte ich sofort das Gefühl: Wir gehören hier hin! Hier findet strukturbiologische Spitzenforschung statt, die Röntgenquelle Petra (P11) ist nur 50 Meter von unseren Laboren entfernt, das macht alles sehr effizient. Wissensfluss, Zugang zu Talenten und zur Beamline, Gespräche – das ist hier alles mit dabei. Derzeit sitzen wir im Innovation Village des DESY, wollen uns mittelfristig in den Start-up-Labs ansiedeln und weiterwachsen.

Wie schwierig ist es, neue Stellen zu besetzen?

Es ist relativ einfach, gute Leute zu finden. Hier am DESY gibt es viele talentierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Andere wollen raus aus der akademischen Welt. Man spürt da einen enormen Tatendrang bei den Leuten, die zu uns kommen. Derzeit sind wir knapp 20 Mitarbeitende und wir wollen weiter wachsen.

Wie sind Sie finanziert und welche Rolle spielen Partnerschaften?

CrystalsFirst generiert Umsätze und ist profitabel. Vom Bund wurde Crystals First mit einem EXIST-Gründerstipendium unterstützt. Neben Hessen Kapital werden wir inzwischen auch durch die Stadt Hamburg gefördert. Im September 2023 ist ein Projekt der Hamburgischen Investitions- und Förderbank (IFB) in Kooperation mit dem DESY gestartet, in dem wir Machine Learning einsetzen wollen. Hier wollen wir mit KI die Prozesse von der Struktur bis zum Lead-Wirkstoffkandidaten so effizient und rational wie möglich machen, um datengetrieben bestmögliche Moleküle zu designen.

Welche weiteren Trends beobachten Sie beim Protein-Design?

Ein weiterer Trend sind große KI-Sprachmodelle, die die Sprache der Proteine verstehen und völlig neuartige Moleküle kreieren können, die in der Natur nicht vorkommen. Auch für diese Designer-Proteine brauchen wir die experimentellen Methoden, um die Moleküle im Labor zu überprüfen.

Interview: Philipp Graf

Beitragsbild: © Serghei Glinca

Serghei Glinca im Kurzprofil

Biotech-Entrepreneur Serghei Glinca ist Apotheker und nutzte für seine Doktorarbeit atomaufgelöste 3D-Daten von Proteinen für die Wirkstoffentwicklung. 2018 gründete er in Marburg die CrystalsFirst GmbH und ist seither CEO des Start-ups. Er ist zudem Mitgründer von „DEEP Ecosystems“ und eines Stealth-Biotech-Unternehmens, das Autoimmunkrankheiten bekämpfen will. Glinca ist Host des PodWie Nordmark mit Biotechnologie auf Wachstumskurs gehtcasts „Founders in biotech“.

Mehr zum Thema im LSN Magazin:
AlphaFold2: Revolutionäres Werkzeug für die Proteinforschung

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